Wenn ich ein Bild male ...


Wenn ich ein Bild male, habe ich es bereits seit Wochen im Kopf.

Ich wache nachts auf und male in Gedanken… ich sehe fern und male. Ich gehe einkaufen und es entstehen bunte Bilder in meinem Kopf. Das ist wundervoll!

In meinen Gedanken entsteht so ein Kunstwerk, mein Kunstwerk - Schritt für Schritt.

Ich schließe die Augen, fühle bereits in Gedanken das Leinen, diese kleinen Unebenheiten, streiche sanft mit dem Finger darüber und lächle.

Ich rieche die Farben, höre deren Töne - ein hoher Ton vom Gelb, ein erdiges Brummen vom dunklen Rot. Wärme. 

Dann wähle ich in Gedanken den Pinsel, es kann nur einer sein, aus den unzähligen Arten die ich besitze. Dieser eine, mit dem warmen Griff aus Holz, wird eins mit meiner Hand.

 

Obwohl ich mich so sehr darauf freue, dieses Bild in meinem Kopf real werden zu lassen, zögere ich diesen Entstehungsprozess immer ein wenig hinaus, spiele die Pinselstriche immer wieder durch.

Diese Vorfreude ist ein ganz besonderes Erlebnis – es gibt keine Grenzen. Ich bin frei, kann alles tun! Ich bin ICH selbst.

Und irgendwann kommt der Augenblick, an dem ich beginnen muß. Etwas zögerlich und wehmütig, so schön waren doch die Gedankenspiele des Malens, so sicher und unbeschwert in meiner Welt.

 

Dann ist es soweit. 

Ich bin gut darin, alles fürs Malen vorzubereiten.

Es ist alles durchdacht und wird routiniert ausgeführt: Das Leinen abmessen und zuschneiden. Achtsam am Boden aufbereiten, exakt den Bodendielen entlang. Parallel natürlich. Nichts darf dem Zufall überlassen werden. Dafür ist es mir zu wichtig!

Ich entferne sorgsam jeden noch so kleinen Fussel und streiche den Stoff glatt.

Die Farbtuben werden farbig sortiert nebeneinander aufgereiht. Frisches, sauberes Wasser einfüllen – nicht zu viel und nicht zu wenig. Passt es nicht, gieße ich damit die Pflanzen. Das geht manchmal einige male so.

Und die Pinsel, meine geliebten Pinsel lege ich exakt nebeneinander auf ein Küchentuch, natürlich der Größe nach.

Und ganz wichtig: mein Maltuch, das mich schon viele Jahre begleitet - es saugt kaum noch Flüssigkeit auf, hat also seine Wirksamkeit längst verloren… doch ich mag es einfach - lege ich sorgsam gefaltet bereit.

 

Und so beginnt es.

Ich stehe nun vor diesem unschuldigen unbefleckten Leinen und habe Ehrfurcht. Angst vor dem ersten, unwiderruflichen Pinselstrich. Dieses Gefühl kann sich über Stunden hinauszögern. Ich gehe auf jede Seite, ändere den Blickwinkel, betrachte das unschuldige Weiß, schließe die Augen und sehe das fertige Bild im Kopf. Mein Bild, das ich schon so lange mit mir herumtrage. Ich spüre es, lächle und freue mich. Es darf jetzt beginnen.

Doch dann öffne ich die Augen und beginne zu zweifeln. Es ist immer das gleiche:

Erst jetzt merke ich, dass mich diese - von mir selbst erschaffene perfekte Ordnung meiner Farben und Pinsel - blockiert. Ein irrer Perfektionismus, der mir Sicherheit vorgaukelt. Jetzt macht es mir Angst - diese unschuldige Reinheit des Leinenstoffes. Die parallel liegenden Pinsel. Alles muss korrekt sein. Dieser penible Perfektionismus. Alles Muss. Muss. Ich darf nicht denken! Denn das ist schrecklich und behindert meine Kreativität. Ich muss raus aus diesem Irrsinn und diese Gedanken loslassen. Nicht denken - nur noch Fühlen.

 

Ich wandere rastlos umher, werde langsam ruhiger, atme und fühle. Und so beginne ich nach und nach Chaos in mein Umfeld zu bringen. Gutes Chaos. Ich liebe dieses Chaos, mein eigenes Chaos, meine unvernünftige Unordnung - das befreit mich. Jetzt bin ich. Jetzt kann ich malen.

 

Es liegen Farben, Pinsel, ja sogar Möbel kreuz und quer, ich muss über dieses und jenes steigen, um frisches Wasser zu holen… Skizzen flattern umher, überall Maltücher, Farbmuster, Malstifte, alte Bilder, Trinkwasser... ich suche immer wieder nach Farben, weil mein Chaos diese verschluckt – ist das nicht herrlich? Oh ja! Es ist wundervoll! Nur mein Kunstwerk zählt. Jetzt.

Die Zeit ist unwichtig. Es ist egal, ob es Tag oder Nacht ist. Ich bin voller Farbe, vergesse zu essen und verschmelze mit meinem Kunstwerk. Es ist egal, dass mein Chaos tagelang stehen bleibt. Alles rund um mich ist gleichgültig Nur mein Kunstwerk zählt. Frei und grenzenlos.

 

Es beginnt. Ich male. Euphorie. Ich liebe das Malen, mein Ausdruck des Seins! Ich liebe es, mich, alles.

Ich bin in meiner eigenen Welt, das ist phantastisch. Und es ist auch verrückt - beim Malen entsteht eine Melodie… jeder einzelne Farbton klingt in meinem Inneren. Ich höre es nicht durch meine Ohren, nein - die Töne sind in mir. Ein sinnlicher tiefer Ton, der mich wärmt und beschützt für mein Rot, voller Güte und Energie. Dann ein frischer etwas höherer Ton, wie morgendlicher Vogelgesang für das Gold... Ich schwimme in einer teils disharmonischen Welle von Farbe und Gefühl. Es entsteht eine Gesamtkomposition, die mich beim Malen begleitet. So träume ich malend dahin.

 

Ich höre nie Musik, wenn ich male. Denn ich habe die Melodie bereits im Kopf. Meine Melodie. Die einzigartige Melodie dieses Bild, jeder einzelnen Farbe. Ich bin dankbar für diesen Begleiter meiner Stille.

 

Dann kommt es, die kritische Phase, das dunkle Tal.

Mein Kunstwerk ist beinahe fertig. Doch dann, und dieser Moment kommt immer – zweifle ich plötzlich. Ich weiß nicht warum. Ich kann es nicht mehr sehen, was ich geschaffen habe und beginne plötzlich „klug“ zu denken. Ich denke, ich könnte doch dies oder das, oder doch lieber, oder wenn ich vielleicht, und dann muss ich…

Ich hasse diese Phase und bin kurz davor alles zu vernichten. Bin höchst deprimiert. Beginne an mir zu zweifeln. An allem zu zweifeln. Bin müde und hungrig. Ich sitze da und mir ist kalt.

Ich betrachte mein Bild.

Lange.

Ich fühle mich verlassen, niemand kann mir jetzt helfen.

Obwohl ich übermüdet bin, kann… ja darf ich nicht schlafen - nicht jetzt. Ich kann mein Kunstwerk nicht alleine lassen. Nicht in dieser Phase. Was, wenn ich im Schlaf sterbe und jemand sieht dieses unvollendete Bild?

Mein zuvor geliebtes Chaos wird bedrohlich größer. "Klar, niemand kann in so einem Chaos malen. Das ist so schlecht, schade um das Material! Wieviel Zeit ich damit vergeude!" höre ich ihre Stimmen und kann nicht aufhören zu denken.

 

Und wüsste ich nicht, dass es immer so kommt, wenn ich male, würde ich jetzt aufgeben. Mich alleine mit Kuchen, Schokolade und Wein in den Schlaf weinen. Mich selbst bemitleiden. Meinem Ego nachgeben, wie erbärmlich.

Doch – zum Glück - ich weiß es. Ich weiß, dass nur eine Nuance fehlt. Ein oder zwei Pinselstriche, ein anderer Farbton – irgendetwas, dass das Bild zu Meinem werden lässt. Lebendig werden lässt. Etwas, das so klein sein kann, dass es vermutlich niemand außer mir bemerkt.

 

Ich schließe die Augen, entferne mich von allem. Zeitlos.

Und dann geschieht es, es ist plötzlich da! Wie hypnotisiert tu ich es, ich male. Ich tu es ganz intuitiv, ohne zu denken. Dieser Prozess kann drei Minuten oder Tage dauern. Dieser letzte Schritt vollendet das, was ich mir zuvor in Gedanken erfühlt habe.

Und dann weiß ich es.

Es ist fertig. Und ich liebe es. Denn jetzt ist es nicht so, wie ich es mir im Kopf ausgemalt habe, nein, jetzt ist es lebendig und spricht. Ich liebe diesen Moment!

 

Es dauert sehr lange, bis ich mein geliebtes Chaos wieder weggeräumt habe. Alles schön ordentlich verstaut. Ganz brav. Die Farben weggewischt und das wunderbar bunte Wasser entleert, ich sehe ihm nach, wie es langsam kräuselnd im Abfluss verschwindet. Das macht mich ein wenig traurig. Es kommt mir fast sträflich vor, diese wunderbaren Zeichen/Zeugen dieser Geburt zu entfernen. Diesen Teil des Malens mag ich überhaupt nicht, denn es zeigt, dass es aus ist. Dass ich jetzt wieder „ordentlich“ denken muss… funktionieren muss… vernünftig sein muss…

 

Ja, die Welt hat mich wieder, und mein Bild hängt jetzt an einer schönen weißen Wand in sauberer geordneter Umgebung. Ich muss mich erst daran gewöhnen, es so zu sehen – ohne mein geschätztes Chaos, das mein Kunstwerk einst so liebevoll beschützte.

Wir fremdeln ein wenig.

Und bald gehört es allen die es sehen. Es ist dann nicht mehr „mein“ Bild – es ist dann „unseres“, denn meine Begabung - für die ich jeden Tag dankbar bin - gehört nicht mir allein.

 

Erst jetzt darf es jemand sehen. Nicht irgendjemand. Jemand, der um meinen Prozess weiß. Jemand, der mich versteht und fühlen kann, wie es mir ergangen ist. Jemand, der um die künstlerische Einsamkeit weiß. 

Es ist ein gutes Gefühl, etwas Besonderes geschaffen zu haben.

Etwas, dass Menschen berührt. <3