Serie ICH BIN


„Nur einen Kopf zu malen wäre arrogant. Es ist die Seele, die ich in einem Portrait einzufangen versuche.“


Ich male Frauen, die von der Gesellschaft oft auf ihr Äußeres oder ihr Tun reduziert werden, um ihnen eine Stimme zu verleihen und damit zu zeigen, wie stark und schön alle Frauen sind.

 

„Ich bin nicht dort, wo du mich sehen möchtest.

Fang an, mich dort zu sehen, wo ich bin: Mit dir auf einer Augenhöhe.

Der Betrachter meiner Bilder soll fühlen, wie die Protagonistin auf der Leinwand sich fühlt.“

 

Ich trage alle Bilder seit Monaten mit mir im Kopf. Für dieses Projekt setze ich ganz bewusst unterschiedliche Stile ein, welche Stellung und Nähe des sozialen Umfelds widerspiegeln.  So entstehen Bilder starker Frauen. Frauen, die es nicht notwendig haben, als „perfekt“ beurteilt zu werden.

 

Für meine Bilder stehen ´echte´ Frauen Modell, mit ihren Narben, ihren zarten und schweren Körpern, ihren weisen Falten....

Vor meiner Leinwand werden sie allesamt nackt, transparent, verletzlich. Ich bewundere jede Einzelne für ihre Stärke und ihren Mut.

 

Geplant sind mehrere Vernissagen an Orten der Begegnung, offen für Kunst und Neues. Dort, wo man die Anliegen der Frau ernst nimmt. 


Meine Gedanken zu dieser Serie: 

 

Format:

210 x 150 cm - ich wähle das Format deshalb so groß, um die Schwachen/Kleinen größer zu machen, ihre Stimme gewichtiger. Diese Frau soll unübersehbar sein.

 

Material:

Naturbelassenes Leinen 

Ich mag Leinen, es ist ursprünglich, echt und erdig. So wie wir Frauen.

Es ist nicht perfekt gespannt, wie auf einem Keilrahmen aufgezogen – es ist unförmig, verzieht sich, zeigt Spuren vom Malen, hat Makel – und wird so lebendig. Wie diese Frauen, die für meine Bilder Vorbild sind. Der Stoff ist nicht glatt und unpersönlich perfekt – alles hat Charakter. 

Ich als Künstlerin sage damit: „Du bist einzigartig und schön - so, wie du bist, egal wie du aussiehst, egal was du tust – solange du glücklich bist!“

 

Gold:

Gold ist wegen seines Sonnenglanzes schon seit frühesten Zeiten das Material der Götter, Kaiser und Könige. Was könnte nicht besser zu uns Frauen passen?

In meinen Bildern ist das warme Gold die Farbe der starken Frau. Mit dieser Farbe in Form von Blattgold möchte ich die Besonderheit zeigen. 

 

Rot:

Rot ist meine ausdrucksstärkste Farbe, die die Stärke der Frau symbolisiert.

 

Technik:

Ich habe den Körper mit Kugelschreiber vorskizziert. Unwiderruflich. Mit Acrylfarbe und Blattgold vereint.

 

Striche / Schrift:

Diese Schriftzeichen symbolisieren den Text. Dieser steht für immer wieder kehrende Verteidigungen, Gespräche, Erklärungen gegen gut gemeinte Ratschläge. Auch Anklage.

 

Basis:

Als Grundlage für diese Thematik dienen intensive Gespräche und Befragungen von Frauen und Männer zum Thema "Frauenbild". Studien dazu werden bei der Ausstellung veröffentlicht.


L

„L“ - so heißt das erste Bild meiner Serie „Ich bin.“  

Ich habe es nach dem Vorbild einer jungen Frau mit dem Anfangsbuchstaben „L“ gemalt. 
Diese Frau ist real. Ihre Gedanken sind real. Ihre Ohnmacht ist real. Eine starke Frau, die auf den ersten Blick zart und zerbrechlich aussieht – für Viele zu zart, zu dünn, zu klein, zu… wenig.
L ist es leid, sich immer wieder erklären zu müssen.

L sitzt in einer Blumenwiese. Sie hat mehr als zwei Arme, nicht nur um sich zu schützen, sondern auch um sich zu verstecken. Vor den Blicken der Anderen. Vor den Gedanken der Anderen. L bedeckt ihren Körper und hätte gerne noch mehr Arme. Ihr rotes Gewand - meine liebste, sinnlichste Farbe - symbolisiert die Stärke dieser Frau. 

L blickt dich eindringlich an und sagt: „Hör auf. - Ich bin satt.“ 

„Hör auf. Du musst mich nicht füttern. Ich bin satt. Ich habe euch satt. Ich bin genug. Hör auf mich zu füttern. Ich bin stark, doch du machst mich schwach. Klein. Unwichtig. Minderwertig. 
Hör auf. Ich beginne dich zu hassen, für das, was du an mir siehst. Ich verstecke mich, vor dir, vor allen anderen. Ich brauche Schutz, brauche mehr Hände. Brauche mehr. Immer mehr. Doch du nimmst nur, gibst mir das Falsche. Du machst mich schwach. Liebe mich. So wie ich bin. Liebe mich. Nimm mich, so wie ich bin. Fühle mich, so wie ich bin. Liebe mich - erlebe mich. Sieh mein Innerstes. So wie ich bin. Liebe mein ICH.“

"L" steht für alle Frauen, die „zu wenig“ oder „zu viel“ sind. Eben nicht der „Norm“ entsprechen. Ich als Künstlerin möchte damit diesen Frauen eine Stimme geben.


G

„G“ - so heißt das nächste Bild meiner Serie „Ich bin.“ 

 

*Ich male zurzeit wegen Corona in unserer Wohnung, statt im Atelier. Am Boden, an den Küchenschränken angeklebt... überall wo ein bisschen Platz ist. Ja, ein wenig eng für diese großen Werke... doch ich "muss" einfach malen... es geht nicht ohne.* 

 

Ich male dieses Bild nach dem Vorbild einer besonders starken Frau mit dem Anfangsbuchstaben „G“. Diese Frau ist real. Ihre Gedanken sind real. 

"G" – die Frau mit den Narben (Bilder in Arbeit)


„Ich bin normal. Hör auf, mich anzustarren!"

Sie ist gezeichnet, hat gelitten und dennoch, oder gerade deshalb ist sie so unglaublich stark. Diese Frau steht mit geschlossenen Augen in einem blutroten Feld, friedvoll und in sich gekehrt. Berührt liebevoll ihre Narben. 
„G“ erinnert sich. Wie es war. Damals. Als sie ihre Narben verdeckte. Versteckte.

„Meine Arme haben viele Gelenke. Mehr als …normal. Je mehr, desto besser, umso besser kann ich mich schützen, meine Narben verstecken. Ich schließe meine Augen, sehe nichts, sehe dich nicht, und das, was du so sehr anstarrst. 
Ich habe Kindern das Leben geschenkt. Sieh mich an, sieh mich nicht an. Was starrst du an? Was siehst du an mir? Was siehst du in mir? Kannst du sie sehen? Kannst du MICH sehen?
Ja, ich bin gezeichnet. Genzeichnet für mein Leben. Gezeichnet vom Leben. Und wenn ich die Augen schließe, kannst du sie nicht sehen. Wie sie dich anstarren, blutend rot. Du siehst mich nicht. Siehst du meine Krone nicht? Wie sie glitzert und strahlt? Siehst du mich nicht? Nicht mein ICH?
Schließe auch du die Augen, erst dann wirst du mich sehen. Mein ICH. Fühle mich. Spüre mich. Lebe mich. Liebe mich. Liebe mich, so wie ich bin. So wie ich aussehe. Liebe das, was ich bin.
Ich bin glücklich. Ich bin.
Mein Kopf trägt eine goldene Krone. Stolz und aufrecht. Majestätisch. Und ja, ich stehe immer wieder auf. Egal wie viele Narben ich noch sammle – ich stehe immer wieder auf und lächle.“ 

"G" steht für alle Frauen, die mit äußeren und inneren Narben gezeichnet sind. Eben nicht der „Norm“ entsprechen. Ich als Künstlerin möchte damit diesen Frauen eine Stimme geben. <3 


E

„E“ - so heißt ein weiteres Bild meiner Serie „Ich bin.“  

 

Ich habe es nach dem Vorbild einer jungen Frau mit dem Anfangsbuchstaben „E“ gemalt. 
Diese Frau ist real. Ihre Gedanken sind real. Eine starke Frau, die Blicke auf sich zieht. Immer wieder. Die… „krank“ ist? Die, die keine Haare auf dem Kopf hat… 
Doch „die“ hat einen Namen: „E“. 

 

E lacht in diesem unbeschwerten Moment. 

„Hör auf, mich zu bemitleiden!
Ich bin glücklich.“

 

Ich als Künstlerin habe dieses Acrylbild „verschoben“ gemalt, als würde es aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden. Ver-rückt. Ich mag verrückt! Nur wenige Milimeter zur Seite gerrückt, und schon hat alles ein anderes Gesicht. Das Licht fällt anders, die Stimmung verändert sich. Ich fühle mich anders. Ich „sehe“ anders.


Mir gefällt es, Menschen aus verschiedenen Seiten zu betrachten, ich entdecke Details die mir auf den ersten Blick verborgen blieben, die mich überraschen, beigeistern oder auch ängstigen. Es liegt alleine an mir, aus welchem Blickwinkel ich „E“ ansehen möchte. Wie ich „E“ begegne, was ich in dieser Frau sehe. 

 

"E" steht für alle Frauen, die „anders“ aussehen. Eben nicht der „Norm“ entsprechen. Ich als Künstlerin möchte damit diesen Frauen eine Stimme geben. 


D

„D“ - so heißt ein weiteres Bild meiner Serie „Ich bin.“  

 

Acryl auf Leinen, 90 x 70 cm

 

„Ich bin eine Putzfrau und habe meine Würde.“ 

 

***Dunja***

„Ich arbeite jetzt 16 Jahre hier, am Bahnhof. Wie ich damals nach Österreich gekommen bin, habe ich Glück, dass ich hier Arbeit gefunden habe. Mein Deutsch war nicht gut und ich habe keinen Beruf gelernt.

Ich halte die Klo sauber. 

Jeden Tag. 

Ich habe nie gefehlt, war nur zweimal krank.

Es gibt Menschen, die mich wie Dreck behandeln. Und das sind die, die das Klo wie einen Schweinestall verlassen. Manche sehen mich mitleidig an. Doch das brauche ich nicht. Ich mache meine Arbeit gut. 

Kenne hier alle.

Fast jeden Tag kommt einer, der Mann im schwarzen Anzug mit Krawatte. Das ist ein guter Mann, nicht nur weil dem Trinkgeld. Er redet mit mir, weiß, dass er zwei Kinder hat. Einmal hat er seine Brieftasche vergessen, habe ich aufgepasst und nicht rein geschaut. Er war sehr dankbar, hat mir eine Orchidee geschenkt. Meine erste.

 

Was ich mache, wenn ich nicht hier bin und putze? 

Ich gehe heim zu meinen Orchideen. Habe jetzt schon 24 Stück daheim. Sogar verschiedene Sorten! Das sind meine Kinder, ich lese denen vor, dann wachsen sie schöner.

 

Was ich vorlese? 

Na Dostojewski, ist ja ein Landsmann von mir. Der sagt: „Der Mensch kann nicht bestehen, ohne etwas anzubeten.“ 

Wie meine Orchideen.“


J

„J“ - so heißt ein weiteres Bild meiner Serie „Ich bin.“  

 

Acryl auf Leinen, 90 x 70 cm

 

„Ich bin alt. Na und?“ 

 

 

 

Schon das Telefonat mit Johanna war einzigartig und bezaubernd. Schon der Stimme nach schätzte ich sie auf 80 Jahre oder mehr. Wie alt sie wirklich ist, habe ich sie nie gefragt. 

Sie hatte von mir im Internet gelesen. Ich musste schmunzeln. So stolz war sie, als sie das sagte. Im Internet. 

 

Sie bat mich, sie zu „zeichnen“. Sie möchte in Erinnerung bleiben. Genauso, wie sie jetzt ist. „Ich möchte etwas mit diesem Bild weitergeben“, meinte sie am Telefon leise.

 

Das macht mich als Künstlerin natürlich neugierig.

 

Ein unscheinbares, altes Häuschen, das schon bessere Tage gesehen hat. Der Verputz blättert ab. Ich läute an. Ich erwartete eine langsame alte Frau - und lerne einen wahnsinnig lebensfrohen, klugen, humorvollen Menschen kennen.

Hunderte Eindrücke strömen in mich ein. Die Wärme der kleinen Schwedenofens, der Duft nach Holz, Seife und Äpfeln, glänzende Möbel, sorgfältige Ordnung.

 

Nach einem kurzen Kennenlernen fängt Johanna an zu erzählen.

„Ich hab‘ den Krieg miterlebt“, erzählt sie mit glasigen Augen, „den Vater und zwei Brüder verloren… gehungert und mich im Dreck verkrochen, als die Flieger unsere Hütte bombardierten.“

Sie erzählt weiter, über ihre große Liebe und über den, den sie geheiratet hat. Über ihre fünf Kinder und ihre Enkel. Sie erzählt von Politik, Haltungen, Werten, von guten und nicht so guten Menschen.

 

„Wissen’s, die Pandemie interessiert mich nicht. Risikogruppe oder nicht, ich hab‘ mein Leben gelebt. Ich will mich nicht mehr verkriechen müssen, in den paar Jahren, die mir noch bleiben.“

Ein Satz, den sie mehrmals sagt, bleibt bei mir ganz besonders hängen: „Urteile nie zu schnell, es gibt immer mehrere Seiten.“

 

Nach fast vier Stunden wird Johanna ruhig. Ich beginne, sie zu skizzieren, sie zu fotografieren. Das gefällt ihr, frech lacht sie in die Kamera. Plötzlich zeigt sie mir den Mittelfinger und meinte: „Kindchen, ich kann nicht so lange stillsitzen, ich habe noch viel vor!“

Wir mussten beide lange lachen – das war ein schöner Moment!

Ich gehe bereichert und glücklich.

„Bitte, kein normales, braves Portrait.“, meinte sie leise zum Abschied und drückt dabei fest meine Hand. 

 

Mir war sofort klar - das Portrait dieser wundervollen Frau soll etwas ganz Besonderes werden. Es soll in seinen Bann ziehen und auch ein wenig provozieren.

Ich musste sie aus verschiedenen Blickwinkeln malen. Johanna kann man nicht nur von einer Seite sehen, sie hat in keiner Schublade Platz. 

Ich habe diese alte Frau so gemalt, wie sie ist. Gütig, frech und weise - mit ihren unzähligen Falten, auf die sie so stolz ist. Erzählt doch jede einzelne eine Geschichte. 

 

Ich bewundere diese Frau, die so viel erlebt hat und nicht müde wird, immer weitermachen zu wollen. Ich bewundere ihre Energie. Ihrem Mut. Ihren Willen.

Beim Malen dachte ich oft daran, wie wir mit den Alten umgehen.

Und ich war schockiert, mich selbst dabei zu ertappen, das Wort „alt“ als negativ zu sehen.

„Jugend ist keine Leistung.“ hat Johanna einmal gesagt. „Alter eh auch nicht“ hat sie dann schmunzelnd nachgelegt.

Mir fielen Völker ein, spirituelle Völker, die den Wert und die Weisheit der Alten erkennen, schätzen und nutzen und sie nicht nur nach ihrer Bedeutung auf dem Arbeitsmarkt klassifizieren.

 

Nach einigen Wochen zeigte ich Johanna K. ihr Bild. Wie immer war ich als Künstlerin extrem angespannt… gefällt es? Geht es vielleicht doch zu weit? Versteht es der Betrachter? 

Als Johanna dieses Portrait, ihr Bild sah, hat sie nur tief durchgeatmet und stolz gelächelt. Sie sagte kein Wort, drückte mich und begann zu weinen.

Das wohl schönste Kompliment für mich als Künstlerin.


Wie meine Bilder entstehen:

Wenn ich ein Bild male, habe ich es bereits seit Wochen im Kopf. Ich wache nachts auf und male in Gedanken… ich sehe fern und male. Ich gehe einkaufen und es entstehen bunte Bilder in meinem Kopf. Das ist herrlich!

In meinen Gedanken entsteht so mein Kunstwerk, Schritt für Schritt.

Ich fühle bereits das Leinen und rieche die Farben. Ich freue mich darauf es real werden zu lassen, zögere diesen Prozess immer ein wenig hinaus, denn diese Vorfreude ist immer ein besonderes Erlebnis – es gibt keine Grenzen!

 

Dann ist es soweit. 

Ich bin gut darin, alles fürs Malen vorzubereiten. Es ist alles durchdacht und wird routiniert ausgeführt: Das Leinen abmessen und zuschneiden. Achtsam am Boden aufbereiten, exakt den Bodendielen entlang. Parallel natürlich. Nichts darf dem Zufall überlassen werden. Dafür ist es mir zu wichtig! Ich entferne sorgsam jeden noch so kleinen Fussel und streiche den Stoff glatt. Die Farbtuben farbig sortiert nebeneinander aufgereiht. Frisches, sauberes Wasser einfüllen – nicht zu viel und nicht zu wenig. Passt es nicht, gieße ich damit die Pflanzen. Das geht manchmal einige male so. Und die Pinsel lege ich exakt nebeneinander auf ein Küchentuch, natürlich der Größe nach. Und mein Maltuch, das mich schon viele Jahre begleitet - es saugt kaum noch Flüssigkeit auf, hat also seine Wirksamkeit längst verloren… doch ich mag es einfach - lege ich sorgsam gefaltet bereit.

 

Und so beginnt es. Ich stehe nun vor diesem unschuldigen unbefleckten Leinen und habe Ehrfurcht. Angst vor dem ersten, unwiderruflichen Strich. Dieses Gefühl kann sich über Stunden hinauszögern. Ich gehe auf jede Seite, ändere den Blickwinkel, betrachte das unschuldige Weiß, schließe die Augen und sehe das fertige Bild im Kopf. Mein Bild, das ich schon so lange mit mir herumtrage. Ich spüre es, lächle und freue mich. Es darf jetzt beginnen.

Doch dann öffne ich die Augen und beginne zu zweifeln. Es ist immer das gleiche:

Erst jetzt merke ich, dass mich diese von mir selbst erschaffene perfekte Ordnung meiner Farben und Pinsel blockiert. Ein irrer Perfektionismus, der mir Sicherheit vorgaukelt. Jetzt macht es mir Angst - diese unschuldige Reinheit des Leinenstoffes. Die parallel liegenden Pinsel. Alles muss korrekt sein. Dieser penible Perfektionismus. Alles muss. Muss. Ich darf nicht denken! Denn das ist schrecklich und behindert meine Kreativität. Ich muss raus aus diesem Irrsinn und diese Gedanken loslassen.

 

Ich wandere rastlos umher, werde langsam ruhiger, atme und fühle. Und so beginne ich nach und nach Chaos in mein Umfeld zu bringen. Gutes Chaos. Ich liebe dieses Chaos, mein eigenes Chaos, meine unvernünftige Unordnung - es befreit mich. Jetzt bin ich. Jetzt kann ich malen.

 

Jetzt liegen Farben, Pinsel, ja sogar Möbel kreuz und quer, ich muss über dieses und jenes steigen, um frisches Wasser zu holen… Skizzen flattern umher, überall Maltücher, Farbmuster, Malstifte, alte Bilder, Trinkwasser... ich suche immer wieder nach Farben, weil mein Chaos diese verschluckt – ist das nicht herrlich? Oh ja! Nur mein Kunstwerk zählt. Jetzt.

Die Zeit ist unwichtig. Es ist egal, ob es Tag oder Nacht ist. Ich bin voller Farbe, vergesse zu essen und verschmelze mit meinem Kunstwerk. Es ist egal, dass mein Chaos tagelang stehen bleibt. Alles rundherum ist egal. Nur mein Kunstwerk zählt. Einsam und grenzenlos.

 

Es beginnt. Ich male. Euphorie. Ich liebe das Malen, mein Ausdruck des Seins! Ich liebe mich.

Ich bin in meiner eigenen Welt, das ist phantastisch. Und es ist auch verrückt - beim Malen entsteht eine Melodie… jeder einzelne Farbton klingt in meinem Inneren. Ich höre es nicht durch meine Ohren, nein - die Töne sind in mir. Ein sinnlicher tiefer Ton, der mich wärmt und beschützt für mein Rot, voller Güte und Energie. Dann ein frischer etwas höherer Ton, wie morgendlicher Vogelgesang für das Gold... Ich schwimme in einer teils disharmonischen Welle von Farbe und Gefühl. Es entsteht eine Gesamtkomposition, die mich beim Malen begleitet. So träume ich malend dahin.

 

Ich höre nie Musik, wenn ich male. Denn ich habe die Melodie bereits im Kopf. Meine Melodie. Die einzigartige Melodie dieses Bild. Ich bin dankbar für diesen Begleiter meiner Einsamkeit.

 

Dann kommt es, die kritische Phase:

Mein Kunstwerk ist beinahe fertig. Doch dann, und dieser Moment kommt immer – zweifle ich plötzlich. Ich weiß nicht warum. Ich kann es nicht mehr sehen, was ich geschaffen habe und beginne plötzlich „klug“ zu denken. Ich denke, ich könnte doch dies oder das, oder doch lieber, oder wenn ich vielleicht, und dann muss ich…

Ich hasse diese Phase und bin kurz davor alles zu vernichten. Bin höchst deprimiert. Beginne an mir zu zweifeln. An allem zu zweifeln. Bin müde und hungrig. Ich sitze da und mir ist kalt.

Ich betrachte mein Bild.

Lange.

Ich fühle mich verlassen, niemand kann mir jetzt helfen.

Obwohl ich übermüdet bin, kann… ja darf ich nicht schlafen - nicht jetzt. Ich kann mein Kunstwerk nicht alleine lassen. Nicht in dieser Phase. Was, wenn ich im Schlaf sterbe und jemand sieht dieses unvollendete Bild?

Mein zuvor geliebtes Chaos wird bedrohlich größer. "Klar, niemand kann in so einem Chaos malen. Das ist so schlecht, schade um das Material! Wieviel Zeit ich damit vergeude!" Ich denke und denke...

 

Und wüsste ich nicht, dass es immer so kommt, wenn ich male, würde ich jetzt aufgeben. Mich alleine mit Kuchen, Schokolade und Wein in den Schlaf weinen. Mich selbst bemitleiden. Erbärmlich.

Doch – zum Glück - ich weiß es. Ich weiß, dass nur eine Nuance fehlt. Ein oder zwei Pinselstriche, ein anderer Farbton – irgendetwas, dass das Bild zu Meinem werden lässt. Lebendig werden lässt. Etwas, das so klein sein kann, dass es vermutlich niemand außer mir bemerkt.

 

Ich schließe die Augen, entferne mich von allem. Zeitlos.

Und dann geschieht es, es ist plötzlich da! Wie hypnotisiert tu ich es, ich male. Ich tu es von ganz alleine, ohne zu denken. Dieser Prozess kann drei Minuten oder Tage dauern. Dieser letzte Schritt vollendet das, was ich mir zuvor erfühlt habe.

Und dann weiß ich es. Es ist fertig. Und ich liebe es. Denn jetzt ist es nicht so, wie ich es mir im Kopf ausgemalt habe, nein, jetzt ist es lebendig und spricht. Ich liebe diesen Moment!

 

Es dauert sehr lange, bis ich mein geliebtes Chaos wieder weggeräumt habe. Alles schön ordentlich verstaut. Brav. Die Farben weggewischt und das wunderbar bunte Wasser entleert, ich sehe ihm nach, wie es langsam kräuselnd im Abfluss verschwindet. Das macht mich ein wenig traurig. Es kommt mir fast sträflich vor, diese wunderbaren Zeichen/Zeugen dieser Geburt zu entfernen. Diesen Teil des Malens mag ich überhaupt nicht, denn es zeigt, dass es aus ist. Dass ich jetzt wieder „ordentlich“ denken muss… funktionieren muss… vernünftig sein muss…

 

Ja, die Welt hat mich wieder, und mein Bild hängt jetzt an einer schönen weißen Wand in sauberer geordneter Umgebung. Ich muss mich erst daran gewöhnen, es so zu sehen – ohne mein geschätztes Chaos, das mein Kunstwerk einst so liebevoll beschützte.

Wir fremdeln ein wenig.

Und bald gehört es allen die es sehen. Es ist dann nicht mehr „mein“ Bild – es ist dann „unseres“, denn meine Begabung gehört nicht mir allein.

 

Erst jetzt darf es jemand sehen. Nicht irgendjemand. Jemand, der um meinen Prozess weiß. Jemand, der mich versteht und fühlen kann, wie es mir ergangen ist. Jemand, der um die künstlerische Einsamkeit weiß. Jemand, der mir den Schrecken der Größe nahm, mich inspiriert und an mich glaubt. Es ist ein gutes Gefühl, etwas Besonderes geschaffen zu haben.

Etwas, dass Menschen berührt. <3


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