Johanna


Johanna - Portrait eines realen Menschen

 

Acryl auf Leinen, 90 x 70 cm - 2021

Verkauft - in Besitz eines Oberösterreichischen Kunstsammlers

*

 

„Ich bin alt. Na und?“ 

 

Schon das Telefonat mit Johanna war einzigartig und bezaubernd. Der Stimme nach schätzte ich sie auf 80 Jahre oder mehr. Wie alt sie wirklich ist, habe ich sie nie gefragt. 

Sie hatte von mir im Internet gelesen. Ich musste schmunzeln. So stolz war sie, als sie das sagte. „Im Internet“.

 

„Zeichnen’s mich, bitte“. Sie möchte in Erinnerung bleiben. Genauso, wie sie jetzt ist. „Ich möchte etwas mit diesem Bild weitergeben“, meinte sie am Telefon leise.

 

Das macht mich als Künstlerin natürlich neugierig.

Ein unscheinbares, altes Häuschen, das schon bessere Tage gesehen hat. Der Verputz blättert ab. Ich läute an. Ich erwarte eine langsame alte Frau - und lerne einen lebensfrohen, klugen, humorvollen Menschen kennen.

Hunderte Eindrücke strömen in mich ein. Die Wärme des kleinen Schwedenofens, der Duft nach Holz, Seife und Äpfeln, glänzende Möbel, sorgfältige Ordnung.

 

Nach einem kurzen Kennenlernen fängt Johanna an zu erzählen.

„Ich hab‘ den Krieg miterlebt“, schildert sie mit glasigen Augen, „den Vater und zwei Brüder verloren… gehungert und mich im Dreck verkrochen, als die Flieger unsere Hütte bombardierten.“

Sie erzählt weiter, über den, den sie geliebt und über den, den sie geheiratet hat. Über ihre fünf Kinder und ihre Enkel. Sie erzählt von Politik, Haltungen, Werten, von guten und nicht so guten Menschen.

 

„Wissen’s, die Pandemie interessiert mich nicht. Risikogruppe oder nicht, ich hab‘ mein Leben gelebt. Ich will mich nicht wieder verkriechen müssen, in den paar Jahren, die mir noch bleiben. So wie damals im Krieg.“

Ein Satz, den Johanna mehrmals sagt, bleibt bei mir ganz besonders hängen: „Urteile nie zu schnell, es gibt immer mehrere Seiten.“

 

Nach fast vier Stunden wird die quirlige Frau ruhig. Ich beginne, sie zu skizzieren, sie zu fotografieren. Das gefällt ihr, frech lacht sie in die Kamera. Plötzlich zeigt sie mir den Mittelfinger und meint: „Kindchen, ich kann nicht so lange stillsitzen, ich habe noch viel vor!“

Wir mussten beide lange lachen, was für ein besonderer Moment!

Ich gehe bereichert und glücklich.

„Bitte, kein normales, braves Portrait.“, meinte sie leise zum Abschied und drückt dabei fest meine Hand. 

 

Mir war sofort klar - das Portrait dieser wundervollen Frau soll etwas ganz Besonderes werden. Es soll in seinen Bann ziehen und auch ein wenig provozieren.

Ich musste sie aus verschiedenen Blickwinkeln malen. Johanna kann man nicht nur von einer Seite sehen, diese einzigartige Frau hat in keiner Schublade Platz.

Ich habe Johanna so gemalt, wie sie ist. Gütig, frech und weise, mit ihren unzähligen Falten, auf die sie so stolz ist. Erzählt doch jede einzelne einen Teil ihrer Geschichte.

 

Ich bewundere diese Frau, die so viel erlebt hat und nicht müde wird, immer weitermachen zu wollen. Ich bewundere ihre Energie. Ihren Mut. Ihren Willen.

 

Dann ist es soweit. Ich beginne dieses Bild von Johanna - wie alle meine Bilder - zuerst in meinem Kopf zu malen. Das kann Wochen dauern, bis ich endlich zufrieden bin.

Ich wache nachts auf und male in Gedanken… ich sehe fern und male. Ich gehe einkaufen und es entstehen unzählige Bilder in meinem Kopf. Das ist mühsam. Und herrlich!

In meinen Gedanken entsteht so Johannas Kunstwerk, Schritt für Schritt.

Ich fühle bereits das Leinen und rieche die Farben. Ich freue mich darauf es real werden zu lassen, zögere diesen Prozess immer ein wenig hinaus, denn diese Vorfreude ist ein besonderes Erlebnis – es gibt keine Grenzen!

 

Beim Malen denke ich oft daran, wie wir mit den Alten umgehen.

Und ich bin schockiert, mich selbst dabei zu ertappen, das Wort „alt“ als negativ zu sehen.

„Jugend ist keine Leistung.“ hat Johanna gesagt. „Alter eh auch nicht“, hat sie dann schmunzelnd nachgelegt.

Mir fallen Völker ein, spirituelle Völker, die den Wert und die Weisheit der Alten erkennen, schätzen und nutzen. Und sie nicht nur nach ihrer Bedeutung auf dem Arbeitsmarkt klassifizieren.

 

Nach einigen Wochen zeigte ich Johanna ihr Bild. Wie immer war ich als Künstlerin extrem angespannt… Gefällt es? Bin ich vielleicht doch zu weit gegangen? Versteht es der Betrachter?

Als Johanna ihr Portrait zum ersten Mal sah, hat sie nur tief durchgeatmet und stolz gelächelt. Sie sagte kein Wort, drückte mich und begann zu weinen.

Das wohl schönste Kompliment für mich als Künstlerin.

 

Ich kann kein Portrait malen, ohne eine persönliche Beziehung zu dem Menschen zu haben. Das wäre nicht aufrichtig. Die Geschichte dahinter machen die Farben aus, der Charakter das Leuchten. Das Motiv motiviert, das Innere, das Verborgene. Das ist das Besondere. Das ist die Kunst, die in jedem von uns innewohnt.